Auch wenn die derzeitigen Ausnahmetemperaturen von regelmäßig über 30° im Schatten zu luftiger Kleidung auf dem Motorrad verleiten: Leute, ich bitte Euch, zieht Euch zum Motorradfahren vernünftige Schutzkleidung an! Und zwar selbst dann, wenn die Fahrt nur kurz ist. Bitte lest Euch die folgende Story durch, auf die ich in Rudis Blog aufmerksam wurde.
Motorradfahren mit Sweatshirt und Jeans? Keine gute Idee!
(von Drive News) Brittany Morrow fiel vor etwa einem Jahr bei hohem Tempo vom Motorrad ihres Freundes, nur mit Sweatshirt und Jeans bekleidet. Ihre schweren Narben, die von den knochentiefen Abschürfungen stammen, werden sie ihr Leben lang daran erinnern. Auf SpeedFreakInc erzählte sie im Oktober 2006 ihre Geschichte: wie es zum Unfall kam und wie schmerzhaft und lange ihr Weg der Genesung gewesen ist (SpeedFreakInc gibts nicht mehr, der Originaltext ist nun auf Brittanys Website Rock The Gear abrufbar). Exklusiv im deutschen Sprachraum haben wir die Erlaubnis eingeholt, Brittanys Geschichte auf Deutsch zu übersetzen. Sie soll allen Bikern eine Warnung sein:
Asphaltausschlag extrem: wie es dazu kam, wie es sich anfühlt und was man draus lernen kann.
Veröffentlicht am 4.10.2006 auf SpeedFreakInc.com
von Brittany Morrow
ins Deutsche übertragen von Ernst Michalek
Vor einiger Zeit entdeckten wir auf einer Surftour durchs Netz das Oben-Ohne-Foto einer Blondine. Auf den ersten Blick ein hübsches Mädchen, auf den zweiten Blick offenbarten sich die riesigen Narben auf Ihrem Körper. Wir machten uns auf die Suche, um die Geschichte dieses Mädchens herauszufinden. Hier ist sie – die Geschichte einer starken Frau, die dem Tod von der Schaufel gesprungen war.
Ein Jahr danach
Beim Blick in den Spiegel kann ich es kaum glauben, dass meine Narben nun schon mehr als ein Jahr alt sein sollen. Wenn ich meinen Bauch und meinen Brustkorb berühre, kann ich es kaum glauben, dass dort wieder Fleisch und Haut zu spüren ist, kann es kaum glauben, dass ich die sichtbaren Spuren meines Unfalls mein Leben lang behalten werde. Noch immer glaube ich manchmal, dass das alles nur ein böser Traum ist – dass ich eines Tages erwache und mich in meiner Haut wieder wohl fühlen kann.
Leider ist das alles echt, der Folgen meines größten Fehlers werden mich den Rest meiner Tage begleiten. Trotzdem bin ich froh, überhaupt noch am Leben zu sein, auch wenn ich nach wie vor Schmerzen habe. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, wenn ich mit den Fingern über dickes Narbengewebe streiche, wo einmal meine eigene, weiche Haut gewesen war – denn hätte ich nicht überlebt, gäbe es überhaupt nichts mehr, das ich streicheln könnte. Mein Leben hat einen Sinn und ich genieße jeden Tag, den ich leben darf.
Der Unfall
Es war ein wunderschöner Sonntagmorgen, selbst in meiner verschwommenen Erinnerung an die Ereignisse vor einem Jahr. Nach längerer Zeit der Motorrad-Abstinenz freute ich mich auf einen Ausflug als Sozia auf der GSXR 750 meines Freundes Shaun. Ich hatte meine Lesebrille gegen lässige Sonnenbrillen getauscht, trug anstatt meines Cowboyhutes einen zu großen Motorradhelm und sonst auch nicht rasend tolle Schutzkleidung: Capri-Jeans, Turnschuhe und ein eilig über meinen Bikini gestreiftes Sweatshirt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt einfach nicht daran gedacht, dass ich keinerlei Schutz gegen Verletzungen bei einem Sturz hätte – es würde doch sowieso nix passieren. Die Realität hat mich an diesem Sonntag verblüffend schnell eingeholt.
Als wir auf Highway 550 etwa 7 Kilometer unterwegs waren, bemerkte ich, dass es immer schwieriger wurde, gegen den Fahrtwind anzukämpfen, um dicht hinter Shaun am Motorrad zu bleiben, ohne sich allzu sehr an Shaun selber anzuhängen. Ich legte meine Hände daher um ihn herum auf den Benzintank und rückte so nah wie möglich an ihn heran. Als wir durch die nächste Rechtskurve bergab unterwegs wurden, beschleunigte Shaun weiter. Ich begann mich zwar zu fürchten, glaubte aber, dass ich den steigenden Winddruck schon aushalten würde. Plötzlich ein heftiger Windstoß – und ich begann, auf der Sitzbank nach hinten zu rutschen. Ich spürte, wie die kühle Luft den leeren Raum zwischen meiner Brust und Shauns Rücken füllte.
Auf einmal traf der Fahrtwind meinen Kopf wie ein Ziegelstein und unsere Körper entfernten sich schlagartig voneinander; mein Helmvisier hatte sich plötzlich komplett geöffnet. Die Kraft zerrte derart an meinem Kopf und meinem Helm, dass mein Blick in den Himmel wanderte und mein kompletter Körper nach hinten von der Sitzbank gerissen wurde. Ich erinnere mich an den sinnlosen Gedanken, dass, wenn ich mich an Shauns T-Shirt festhalten würde, er auch rücklings von der Maschine fallen würde.
Aber um es überhaupt noch zu probieren, sich an Shaun festzuhalten, war es bereits zu spät. Ich war zwar nur für den Bruchteil einer Sekunde in der Luft, aber es durchliefen mich hunderte Gedanken auf einmal. Ich dachte nicht daran, mit welch enormer Geschwindigkeit ich am Asphalt aufschlagen würde oder welche bleibenden Schäden ich wohl davontragen würde. Ich dachte nur daran, wie es dazu gekommen war, dass ich an diesem Wendepunkt meines Lebens angelangt war. Ich versuchte mich an die Grundregeln, wie man einen Sturz vom Pferd ohne Schäden übersteht, zu erinnern. Ich hatte im Jahr davor einige Gelegenheiten gehabt, das auszuprobieren und versuchte daher, möglichst locker zu bleiben. Das war das einzige, was ich in diesem Moment tun konnte – nichts.
Als ich auf dem Boden aufschlug, blieb mir die Luft weg. Ich spürte jeden Quadratzentimeter meines Körpers der Kontakt mit dem Asphalt bekam, ich hörte mein Wimmern und meine Gebete unterm Helm, als ich mich nach Luft ringend auf dem unbarmherzigen Untergrund dutzende Male überschlug und dahinrutschte. Binnen weniger Sekunden war mir in diesem Moment klar, dass ich wohl sterben würde – das war weit schlimmer, als alles, was mir bisher widerfahren war. Meine Augen waren geschlossen, nachdem ich mehr als 160 Meter am rauen Asphalt dahingeschlittert war und endlich zum Stillstand kam. Ich verlor während der ganzen Aktion nicht das Bewusstsein – ich erinnere mich jedoch, dass ich mir gewünscht hatte, es wäre so.
Im ersten Moment spürte ich gar nichts. Es dauerte einige Zeit, bis jemand an meiner Seite war und so hatte ich genug Zeit, um erstmal zu probieren, mich selbst zu bewegen. Was ich sofort bemerkte, war, dass ich wohl meinen linken Schuh verloren hatte und der heisse Asphalt auf meinen Zehen wie Feuer brannte. Mein rechter Fuß fühlte sich steif an, ich konnte ihn keinen Zentimeter bewegen – ich dachte, er würde gebrochen sein. Meine Knie hatten während der Reise über den Asphalt offenbar ins Freie gefunden und kleine Steinchen waren daran haften geblieben – so dachte ich jedenfalls.
Später fand ich heraus, dass meine Kniescheiben selber über den Boden gerutscht waren, die darüber liegende Haut dürfte nach dem ersten Bodenkontakt sofort abgetragen worden sein. Mein rechter Arm lag bewegungsunfähig unter meinem Körper und meine Schulter fühlte sich brennend heiß an. Aber seltsamerweise sandte mein linker kleiner Finger in diesen Momenten den pochendsten, stechendsten Schmerz durch meinen Körper. Ich konnte sehen, wie er genau vor meinem Gesicht üppig blutete. Ich roch mein Blut, als es sich in einer Pfütze unter meinem Körper zu sammeln begann.
Als endlich der Rettungswagen eintraf und mich die Sanitäter auf den Rücken rollten und mir meinen Helm abnahmen, hatte ich das Gefühl, ich wäre bereits seit Stunden auf dem heißen Asphalt gelegen und wäre gekocht worden. Jede Faser meines Körpers brannte wie Feuer, stechend, sengend und brennend. Das Schlimmste war, dass ich mich nicht bewegen konnte. Ich wollte so gerne meinen Arm unter meinem Körper befreien, wollte so gerne von der heißen Strasse runter. Wollte, dass die Sonne mir nicht weiter auf meinen nackten Rücken brennt. Ich wollte, dass alles einfach aufhört, jetzt, sofort. Aber es hörte nicht auf. Die Leute, die damals mit mir auf dem heißen Asphalt auf das Eintreffen des Helikopters gewartet hatten, haben mir das Leben gerettet. Ich wollte sterben, aber sie ließen mich nicht einfach meine Augen schließen und einschlafen.
Der Helikopterflug war eine rasante Angelegenheit. Das Morphium begann zu wirken, als wir im Krankenhaus gelandet waren, denn an alles weitere erinnere ich mich nur mehr verschwommen und bruchstückhaft. Ich erinnere mich, dass ein Arzt sagte, ich hätte meine komplette linke Brust verloren. Ich erinnere mich weiters, dass mich jemand gefragt hat, ob meine Familie schon verständigt worden wäre. Ein anderer Arzt fragte mich, ob er meine Wunden für die Krankenakte fotografieren dürfe. Als der Zeitpunkt gekommen war, meine Wunden zu reinigen, stellten die Ärzte fest, dass eine großflächige chirurgische Abtragung des toten Gewebes nötig sei, insbesondere an meiner kompletten linken Seite von der Hüfte bis zur Achsel. Bei dieser Gelegenheit sollte auch mein kleiner Finger und meine rechte große Zehe grob zusammengeflickt werden. Der Rest ist Dunkelheit – und eine sechsstündige Notoperation.
Das Krankenhaus
Als ich erwachte, war ich in Verbände eingepackt wie eine Mumie. Ich lag am Rücken in einem Luftbett, in einem Raum, den ich nie zuvor gesehen hatte. Hatte ich geträumt, dass Shaun hier gewesen war und meine Hand gehalten hätte? Waren meine Eltern hier gewesen? Ich war verwirrt, wusste nicht, was echt gewesen war und so versuchte ich, mich aufzusetzen, um mir einen Überblick zu verschaffen. In diesem Moment traf mich der Schmerz wie ein Peitschenhieb und ich wusste mit einem Mal wieder ganz genau, wo ich war und warum ich hierhin gekommen war.
Mein Rücken, meine Schienbeine, meine Schenkel, meine Hüfte, meine Unterarme, meine Handgelenke, meine Schulter, meine Fingerspitzen, mein Brustkorb, mein Bauch – der brennende Schmerz aus allen Körperteilen zugleich war überwältigend. Dieser Zustand dauerte die folgenden drei Wochen an – ich erwachte vollkommen verwirrt, der Schmerz fuhr mir wie ein Bohrer ins Gehirn und ich war sofort wieder daran erinnert, was geschehen war. Mein Zustand schien sich nicht zu bessern, egal wie oft ich versuchte, im Schlaf Erleichterung zu finden. Das Schlimmste daran war, dass der Schmerz nie ganz verschwand, außer wenn ich schlief – und dann hatte ich stets Alpträume vom Unfall. An den seltenen Tagen, an denen es mir etwas besser ging, kämmte mein Vater mir stundenlang die Haare. Das waren die einzigen Augenblicke, in denen ich kurzfristig vergessen konnte, welche Qualen ich gerade durchmachen musste.
Meine Schürfwunden waren derart schlimm, dass meine Haut nicht von selbst nachwachsen wollte. Ich hatte zuviel Haut eingebüßt, als dass mich die Ärzte einfach zusammenflicken und heimschicken konnten. Nachdem mein enormer Blutverlust nun ausgeglichen und unter Kontrolle war, musste der Verlust der Haut behandelt werden. Ich hatte also einige Hauttransplantationen vor mir. Es gab aber nur zwei Stellen an meinem Körper, an denen die Ärzte gesunde Haut abtragen konnten – nur an meinen Oberschenkeln gab es genügend große unverletzte Stellen. Damit meine riesigen Wunden heilen konnten, mussten die Ärzte nun dicke Lagen von unverletzter Haut von meinen Oberschenkeln abtragen und auf meine Verletzungen aufsetzen. Dort wurde die frische Haut chirurgisch festgeklammert. Allerdings war nicht genügend unverletzte Haut vorhanden, um alle Wunden auf einmal abzudecken. Die Ärzte mussten auch noch entscheiden, welche Bereiche zuerst behandelt würden und welche warten müssten.
VAC-Therapie: ein medizinischer Fachausdruck, der mir heute noch Gänsehaut beschert. Wenn ein Patient eine Hauttransplantation hinter sich hat, wird ein Spezialverband flächig auf dem Operationsgebiet angesetzt, unter dem mit einer Pumpe ein Unterdruck erzeugt wird. Das soll die Durchblutung der betroffenen Fläche erhöhen und die Wundheilung beschleunigen. Das nennt sich VAC-Therapie und stellt sicher, dass das verbrannte Gewebe nicht abstirbt, sondern mit der aufgesetzten frischen Haut zusammenwächst und so die Wunde vom Körper mit neuem Gewebe geschlossen werden kann.
Es fühlt sich an, als hätte jemand einen riesigen Blutegel auf die schmerzhafteste Schürfwunde gelegt, die man sich vorstellen kann. Wenn man ein richtig schlimm aufgeschürftes Knie aus der Kindheit mit 50 multipliziert und auf 55 Prozent der Körperoberfläche verteilt, dann kann man sich die Schmerzen vorstellen. Und nun stelle man sich noch vor, es kommt jemand und saugt 24 Stunden am Tag mit einem kräftigen Staubsauger drauf herum. Das Gefühl einer VAC-Pumpe auf einer frischen Operationswunde ist kaum vorstellbar schaurig schmerzhaft. Jede meiner Transplantationen bekam eine Dosis Vakuum ab – nach schmerzhaften drei Wochen war ich endlich von den nervig lauten Maschinen befreit.
Was allerdings noch schlimmer als die VAC-Pumpe war: die täglichen Verbandwechsel. Wenn ich nur dran denke, dreht es mir heute noch den Magen um. An den Stellen, die von den Ärzten nicht innerhalb der ersten drei Wochen mit frischem Gewebe bedeckt werden konnten, also auf Rücken, Brustkorb, Flanke und Oberbauch mussten täglich die Verbände gewechselt werden, um die Wunden sauber zu halten. Die Verbände ersetzten mir bis zur Operation der betreffenden Stelle meine Haut.
Und so fühlte es sich auch an – jeder Verbandwechsel war, als ob man die Haut abgezogen bekäme. Kalte Umgebungsluft auf die offenen Wunden – und man schreit vor Schmerzen auf. Beim Reinigen der Wunden mit Wasser stirbt man fast vor Schmerzen. In diesen Momenten würde man lieber wieder frisch verletzt auf der Strasse liegen als den täglichen Verbandwechsel zu überstehen. Diese Prozedur musste ich die ganzen zwei Monate im Krankenhaus hindurch täglich über mich ergehen lassen.
So motivierend die Physiotherapie war, so schmerzhaft war sie auch. Sich ohne Hilfe im Bett aufzusetzen, ohne Hilfe sitzen zu bleiben und sich danach wieder hinzulegen, ohne die offenen Wunden auf meinem Rücken allzu sehr zu beleidigen stellte sich anfangs als eine nahezu unlösbare Aufgabe heraus. Wo die Narben der Transplantationen schon leicht verheilt waren, versuchte ich, meine Haut leicht zu dehnen, denn das Narbengewebe war dick und hart wie Leder. Ich befürchtete schon, ich würde deshalb meine Hüften später kaum noch bewegen können.
Ich erinnere mich, dass ich anfangs nur vom Aufstehen schwindelig wurde, dass ich nach einer Fahrt im Rollstuhl über den Flur einfach zusammenbrach und mir die Seele aus dem Leib kotzte. Dass ich nachts weinend wach lag, weil ich es nicht schaffte, alleine zur Toilette zu kommen. Alltägliche Verrichtungen, die man als selbstverständlich erachtet – alles nicht möglich, alles neu zu erlernen. Mit jedem Versuch die Erinnerung daran, dass ich dankbar und demütig sein sollte, überhaupt noch am Leben zu sein.
Ich fürchtete mich täglich vor dem Moment, wenn meine Ärzte das Zimmer betraten. Es war nie angenehm – ob sie mir nun eine leichte Narkose für den Verbandwechsel verabreichten, mich für eine weitere Operation vorbereiteten oder die Physiotherapie anstand. Obwohl diese Leute ja „nur“ versuchten, meine Haut zu retten und mir zu helfen, konnte ich die ganze Bande bald nicht mehr ertragen. Ich begann, meine Mitmenschen recht herb zu behandeln; meine Eltern kamen täglich zu Besuch und diese Zeit muß sehr schwierig für sie gewesen sein, weil sie meine Launen ertragen mussten.
Durch die ständigen Schmerzen wurde ich richtiggehend depressiv, aber ich lehnte es ab, dagegen irgendwelche Pillen zu nehmen. Hauptsächlich deshalb, weil ich sowieso bereits 20 Tabletten zum Frühstück und 20 zum Abendessen einnehmen musste – ich wollte schlicht keine einzige noch dazu haben. Ich wurde auch mehrfach gefragt, ob ich mit einem Psychologen über den Unfall sprechen wollte, über die Alpträume, die mich jede Nacht quälten, aber ich lehnte auch das ab. Kurz zusammengefasst sorgte ich offenbar dafür, dass ich für meinen Fehler die volle Zeche zahlte, sowohl körperlich als auch mental. Die alte Brittany existierte nicht mehr.
Als ich nach meiner letzten Hauttransplantation am 16. November erwachte, hatte ich das Gefühl, als ware mein kompletter Rücken ausgetauscht worden. Der unfassbare Unterschied zwischen der riesigen offenen Wunde und frischer, neuer Haut war so herrlich, daß ich langsam wieder Mut zu fassen begann. Ich konnte erstmals seit mehr als zwei Monaten wieder bequem liegen! Die Zeit war nun reif, aus dem Krankenhaus nach Hause zu gehen und den letzten, großen Schritt der Heilung zu wagen: die Rückkehr in ein normales Leben.
Ich musste meine Ärzte anbetteln, nach Hause zu dürfen, aber der Gedanke, weitere endlose Wochen in einem Rehabilitationszentrum zu verbringen, war mir unerträglich. Ich wollte nur raus hier. Drei Tage nach der letzten OP, mit frisch transplantierter Haut auf den Schenkeln und pochenden Schmerzen marschierte ich tapfer im Spital den Flur entlang, also entließen sie mich nach Hause. Als meine Entlassung unterschrieben wurde, hätte ich am liebsten vor Freude laut aufgeschrieen.
Die Heimkehr
Ich betrat unser Haus das erste Mal seit mehr als zwei Monaten. Der Geruch alleine zauberte bereits ein Lächeln auf mein Gesicht: das Thanksgiving-Dinner für den nächsten Tag wurde gerade vorbereitet. Mein eigenes weiches Bett, Sonnenlicht durchs Fenster, mein Hund, der voller Freude um mich herumsprang – ich genoss jeden einzelnen Moment. Verglichen mit dem Krankenhaus erschien es mir wie der Himmel selber.
Ich war aber noch lange nicht alleine in der Lage, mein Leben zu meistern: meine Mutter musste mir beim Duschen helfen und mir zweimal täglich meine blutverdünnenden Medikamente spritzen. Am Weg von meinem Zimmer in die Küche musste ich regelmäßig schweißgebadet pausieren, weil meine Muskeln ja zwei Monate nicht verwendet worden waren. Ich hatte nach wie vor offene Wunden, musste eine Gehhilfe benutzen und konnte mich nicht einmal selbst anziehen, aber ich war glücklich wie noch nie zuvor, daheim sein zu dürfen.
Heimzukommen war sicherlich die beste Therapie, die man sich vorstellen kann. Die Ärzte hatten geschätzt, dass ich meine Gehhilfe etwa einen Monat lang brauchen würde, aber schon nach drei Tagen stand das Ding unbenutzt in einer Ecke meines Zimmers. Ich entfernte meine Verbände nach etwa einer Woche und begann zehn Tage danach, wieder Jeans zu tragen. Es war soweit, dass ich einem Unwissenden bereits wieder völlig normal erschienen wäre. Nur zwei Wochen nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus fuhr ich wieder mit dem Auto und begann mein Leben wieder so zu leben, als wäre ich nie vom Bike gefallen. Meine Freunde und meine Familie waren mir eine große Hilfe und es ist ihrer Unterstützung zu verdanken, dass ich so schnell wieder in mein normales Leben zurückgefunden habe.
Ich ging nach wie vor zur Physiotherapie, aber ich legte dort ein Tempo vor, das selbst meine Ärzte erstaunte. Ich konnte wieder Stiegen steigen und auch die Einheiten am Hometrainer waren kein Problem mehr. Ich hatte zwar noch immer Schmerzen, selbst alltägliche Bewegungen wie das Abwinkeln meiner Knie beim Hinsetzen schickten Wellen des Schmerzes durch meinen Körper, aber ich lernte recht bald, das schlicht zu ignorieren. Ich war so gewöhnt, dass meine neue Haut schmerzte und zog, dass ich schon bald das Gefühl hatte, es wäre nie anders gewesen. Man gewöhnt sich offenbar an alles. Mein Gehirn schaffte es tatsächlich, die steten Schmerzreize der transplantierten Haut einfach auszublenden.
Als eines Morgens mein Haar auszufallen begann, merkte ich, dass irgendwas trotzdem nicht stimmen konnte. Ich war zwar schon einen Monat aus dem Krankenhaus entlassen, aber die starken Medikamente hatten offenbar Nebenwirkungen. Derselbe Chemiecocktail, der mich im Spital am Leben und bei Laune gehalten hatte, bewirkte nun, dass meine Haare büschelweise ausfielen. Nach einer Woche des Haarausfalls (inklusive meiner Wimpern und meiner Augenbrauen) beschloss ich zu retten, was zu retten war und schnitt mir die Haare ganz kurz. Aber es war zu spät, denn zwischen den paar Strähnen, die mir noch geblieben waren, schimmerte meine blanke Kopfhaut durch. Ich entschloss mich zur Totalrasur und weinte bitterlich, als meine letzten blonden Haare am Badezimmerboden landeten.
Alles zusammen ergibt sich für meinen Sturz folgende Bilanz: 55 Prozent meiner Körperoberfläche war mit Verbrennungen dritten Grades überzogen. Schwere Sehnenverletzungen im linken kleinen Finger. Eine deformierte rechte große Zehe. Massiver Blutverlust, der hauptsächlich dafür verantwortlich war, dass im Spital meine Wunden ewig nicht heilen wollten. Indirekte Folgen meines Unfalls aufgrund des langen Aufenthalts im Krankenhaus: Lungenentzündung, Infektion des Urinaltraktes, Pseudomonaden, ein Blutgerinnsel in meinem linken Bein, Pilzinfektionen, Blutarmut (Anämie), 3 Bluttransfusionen mit einer Abwehrreaktion, 8 plastische Operationen, 31 Vollnarkosen, zahllose Hautablösungen, eine unbehandelte PTBS und Depressionen. Nach all diesen Dingen erscheint der Haarausfall eigentlich nicht erwähnenswert – meine Haare werden nachwachsen. Hauptsache, ich bin am Leben.
Nach allem, was ich durchgemacht habe, werde ich nie wieder in meinem Leben etwas als selbstverständlich annehmen. So lange ich gehen, atmen und sprechen kann, werde ich froh über alles sein, was Gott in Zukunft noch für mich geplant hat.
Die Rückkehr aufs Motorrad
Wenn man etwas so liebt, wie ich das Motorradfahren, ist es schwer, davon zu lassen. Selbst wenn man weiß, dass es einem beinahe das Leben gekostet hätte. Aber ich habe meine Lektion gelernt: ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe, dessen Folgen mich mein Leben lang begleiten werden. Deshalb werde ich sicher mein Leben lang nie wieder ohne meine Schutzkleidung auf ein Motorrad steigen, selbst an knallheissen Tagen und auf kurzen Strecken. Meinen Helm werde ich erneuern, sobald er nicht mehr optimal passt oder nicht mehr vernünftig schließt. Anfangs hatte ich fürchterlich Schiss, selbst wenn ich nur bei gemütlichem Tempo als Sozia mitfuhr. Als ich nach einiger Zeit mich wieder an Geschwindigkeiten jenseits des Ortgebietes gewöhnt hatte, wusste ich, dass ich wieder Motorradfahren würde. Ich wollte wieder die Freiheit spüren, alleine auf einem Motorrad unterwegs zu sein und den Rest der Welt mit einem kurzen Dreh am Gasgriff im Rückspiegel verschwinden zu lassen.
Ich kaufte mir bei einem Händler in der Nähe eine Yamaha R6, Baujahr 2006. Einige Wochen lang gab mir ein guter Freund jeden Morgen Privatstunden, um mich wieder ganz sachte ans Motorradfahren zu gewöhnen. Auf einem Motorrad kann jederzeit fast alles passieren. Ich weiß, dass ich nie wieder erleben will, was ich hinter mir habe – und ich denke daran und handle danach, jedes Mal bevor ich auf ein Motorrad steige. Ich habe in den ersten Wochen am Motorrad viele neue Sachen gelernt und meine Fähigkeiten und Sinne verfeinert. Aber ich habe auch viel über mich selbst erfahren: wie stark ich wirklich sein kann. Ich kehrte zu einem Sport zurück, der mein Leben verändert hat, nachdem er es beinahe gekostet hätte.
Die Moral von der Geschichte
Mein Asphaltausschlag wird mehrere Jahre brauchen, um einigermaßen gut verheilt zu sein und selbst dann wird sich meine Haut nie wieder normal anfühlen oder normal aussehen. Ich habe meine Angst vor dem Motorradfahren besiegt, aber ich werde mich nie wieder so blöde fast nackt auf ein Bike setzen, um mir wieder solch grausame Verletzungen einzufangen.
Ich bin zum Prediger für gute Schutzkleidung beim Motorradfahren geworden, sei es bei Leuten, mit denen ich Motorradfahren gehe, sei es bei Leuten mit denen ich plaudere oder auch durch diese meine Geschichte. Sie soll eine Warnung für jeden Motorradfahrer, jeden Beifahrer sein. Ich möchte diese Schmerzen, die teilweise bis heute andauern, nicht einmal meinem ärgsten Feind wünschen – vor allem, weil es mit ein paar Extraschichten Bekleidung gar nicht dazu kommen hätte müssen. Aber alles, was ich durchgemacht habe, war nicht umsonst, wenn mein Tatsachenbericht auch nur einem einzigen Biker die Haut retten kann.
Brittany Morrow fährt nach wie vor begeistert Motorrad, widmet sich seither der Verkehrssicherheitsarbeit und hat die Website Rock The Gear ins Leben gerufen, auf der sie an alle Motorradfahrer appelliert, nur mit optimaler Schutzkleidung loszufahren. Dort findet man auch den Originaltext, der auf drivenews.at im November 2006 mit freundlicher Genehmigung von Brittany auf Deutsch übersetzt und veröffentlicht wurde.
Alle Bilder: Brittany Morrow
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