Mittwoch, 12. August 2015 Tschiltschi – Tynda (ca. 230 km)
Heute geht’s um sieben Uhr hoch, schließlich soll der Zug um neun Uhr ankommen, und wir wollen natürlich die Kräder und das Gepäck zum Verladen parat haben. Halb neun stehen dann die Maschinen auf dem Bahnsteig, bereit zum Verladen. Das Gepäck liegt daneben und wir warten auf die Russen von gestern Abend, die versprochen haben, uns beim Verladen zu helfen.
Leider taucht keiner auf, das ist die erste Enttäuschung, weil wir bisher immer nur gute Erfahrungen gemacht haben. Dann fährt der Zug ein. Thom sucht die Zugführerin und versucht ihr unsere Wünsche darzulegen. Leider erweist sie sich als wenig hilfsbereit, ihre Antwort ist unmissverständlich: „Njet Motocycle Plattform!“ Verdammt, mit dieser klaren Ablehnung haben wir nicht gerechnet, aber auch ein trauriger Hundeblick hilft nicht. Ganz abgesehen davon, dass wir die Moppeds nicht ohne Hilfe verladen können. Mit hängenden Ohren blicken wir dann dem ausfahrenden Zug hinterher und schieben unsere Moppeds vom Bahnsteig.
Da uns erst einmal nichts Besseres einfällt, bauen John und ich die Kupplung vom Beemer aus. Immerhin ist es der Wasserboxer mit einer nassen Kupplung, so dass uns das komplette Zerlegen des Bikes erspart bleibt. Dank der Reparatur-CD wissen wir, was zu tun ist, und nach einer Stunde ist der Kupplungsdeckel ausgebaut und wir versuchen die Kupplung oder besser das was von ihr übrig ist auszubauen.
Nicht ganz einfach, weil einige der Reibscheiben und Druckplatten durch die Hitze miteinander „verschweißt“ sind. Teilweise stückweise kriegen wir aber die Einzelteile rausgepröckelt. So eine abgewrackte Kupplung hab ich noch nie gesehen. Neben einigen heilen Teilen liegen nun kleine Stücke der ehemaligen Kupplung am Boden und damit ist jede Möglichkeit einer provisorischen Reparatur gestorben.
Währenddessen versucht Thom noch einmal in Tschiltschi einen Lkw aufzutreiben, aber mehr oder weniger erfolglos. Lediglich in 10 Tagen bestünde die Möglichkeit, per Lkw nach Tynda zu kommen, was aber für uns keine Option ist, schließlich müssen wir Ende August wieder zu Hause sein. Einziger Lichtblick ist, dass wir die kommende Nacht wieder im Bahnhof verbringen dürfen. Ziemlich frustriert versuchen wir alle möglichen Optionen durchzudenken. Am erfolgversprechendsten scheint es noch, wenn Thom und ich in 2 Tagen mit dem Zug nach Tynda fahren und dort irgendwie versuchen einen Lkw zu chartern, mit dem wir dann die Maschinen in Tschiltschi abholen und nach Tynda bringen können. Selbst das dürfte uns etliche Tage kosten, aber wir könnten in 8 Tagen die Motorräder in Tynda haben. Von da aus sollte sich dann ein Weitertransport organisieren lassen. Schaun wir mal.
Egal wie wir das Ganze drehen und wenden, vorerst sind wir in Tschiltschi gestrandet! Mit richtig hängenden Ohren richten wir uns wieder im Zimmer ein! Was für eine bescheidene Situation. Ein bisschen ärgern wir uns, dass wir an der letzten Furt nicht warten wollten, aber was solls, es ist wie es ist!
Als wir so richtig Trübsal blasen, kommt Natascha ins Zimmer, wir blicken auf und sie sagt kurz und knapp: „Dawai, boyst Plattform, Motocycle aufladen!“ Auf Deutsch heißt das, bewegt Eure Ärsche und verladet die Moppeds, ein Zug steht am Bahnsteig und wartet auf Euch, die würden die Moppeds und Euch nach Tynda mitnehmen.
Völlig verdattert packen wir unsere Sachen zusammen, John und Thom sind dabei richtig schnell, während ich erst einmal auf Toilette muss. Als ich fertig bin, ist außer meinen Klamotten nichts mehr im Zimmer. Ich raffe alles zusammen und laufe zum Bahnsteig runter. Da steht in der Tat ein Zug, bestehend aus Lokomotive, Plattformwagen und Personenwaggon, allerdings kein regulärer Zug, sondern ein Bauzug voller Bahnarbeiter. Thom und Johns Moppeds stehen bereits vor den Waggons und Thom verhandelt grad mit einem der Arbeiter. Als ich dazu stoße erklärt Thom uns, dass die Jungs uns für 9000 Rubel mitnehmen, inklusive Auf- und Abladen der Kräder.
Meine Fresse, was haben wir für ein Glück! Eben noch gestrandet und jetzt quasi auf dem Weg nach Tynda. Dank der Manpower der Bahnarbeiter geht das Verladen der Moppeds wie von selbst, sogar die fette BMW wird ohne viel Federlesens auf den Plattformwagen gewuchtet. Noch schnell unser Gepäck aufgeladen, die Moppeds mit Spanngurten verzurrt und wir können den Zug entern. Der Boss der Bahnarbeiter bringt uns zum Gemeinschaftsraum und platziert uns zwischen die Bahnarbeiter.
Beim Gespräch stellt sich dann heraus, dass einer der Russen gestern wohl mit ihnen telefoniert und unser Problem geschildert hat. Da sie heute nach Tynda fahren wollten sie uns dann mitnehmen. Halt ein außerplanmäßiger Zug, aber mehr als gut genug für uns!
Nach einer Stunde fährt der Zug dann an. Wir erfahren, dass es bis zum späten Vormittag dauern wird, bis wir Tynda erreichen, weil der Zug alle planmäßigen Personen- und Güterzüge passieren lassen muss. Das stört uns nicht, im Gegenteil, wir sind froh dass wir überhaupt weiterkommen!
Wir werden dann von den Bahnarbeitern zum Essen und Trinken eingeladen. Es gibt eingelegte Tomaten, Gurken, Brot und Pellkartoffeln, dazu Wodka und armenischen Kognak, das Ganze mit Fragen zu unserer Tour und dem Woher, Wohin und Warum garniert. Während wir uns beim Trinken zurückhalten, lassen sich die Arbeiter Wodka und Kognak reichlich durch den Kopf gehen. John meldet sich recht früh zum Schlafen ab, während Thom und ich noch ein wenig bei den Arbeitern bleiben.
Die sind bereits dabei, den Champion in Armdrücken zu bestimmen. Wir müssen dann auch mitmachen, überraschenderweise schlagen Thom und ich alle bis auf den Champion, Motorradfahren ist also doch zu was gut. Dadurch beruhigt, gelingt es uns beiden dann auch, uns in die Kojen abzumelden und ein bisschen Schlaf zu bekommen.
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