Roads To Siberia, Tag 79

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Sonntag, 16. August 2015 Tynda

Heute geht es los, sprich: wir werden mit der Bahn nach Moskau fahren. Insgesamt gut fünf Tage auf der Eisenbahn, und das Spannende daran ist, dass wir quasi die BAM in Richtung Westen fahren und wir unsere gefahrene Strecke einmal aus einer anderen Perspektive sehen werden.

Aber zuerst wird gefrühstückt und dann gepackt. John und ich haben relativ wenig Gepäck, weil wir unsere Moppedklamotten zusammen mit den Krädern verladen haben. Thom hat eine große Tasche gekauft, in der er seine Fahrerausrüstung inklusive Stiefel und Helm unterbringen kann. Sicherheitshalber fahren wir zeitig runter zum Bahnhof, damit uns nicht aus Versehen der Zug vor der Nase wegfährt. Das Problem ist nämlich, dass der gesamte Bahnverkehr nach Moskauer Zeit abläuft und die Anzeigen im Bahnhof ebenfalls auf Moskauer Zeit eingestellt sind. Das heißt, wir müssen in Tynda daran denken, dass wir Moskau sechs Stunden voraus sind. Aber egal, wir sind natürlich gut eine Stunde vor Abfahrt des Zuges am Bahnhof. Die Suche nach dem richtigen Waggon gestaltet sich etwas schwierig, weil der Zug noch aufgeteilt ist und auf zwei Bahnsteigen steht. Doch Maxim taucht plötzlich auf, um uns zu verabschieden, und mit seiner Hilfe finden wir dann den richtigen Waggon, Wagen Nummer 16, natürlich ganz am Ende des Zuges.

Die Tür wird, wie in Russland üblich, von den beiden Schaffnerinnen bewacht, die natürlich nicht nur unsere Fahrkarten sondern auch den Reisepass kontrollieren. Schon etwas komisch, aber wie wir mittlerweile ergoogelt haben, eine für Russland normale Prozedur. Wir werden dann von einer der Damen zu unserem Abteil, oder wie das hier heißt: Coupé geleitet und verstauen erst einmal unser Gepäck. Dann wird es Zeit für den nötigen Reiseproviant. Zum Glück hat der Bahnhof diverse kleine Supermärkte, wo wir uns mit Vorräten eindecken: reichlich Wasser, dazu Getränke mit Geschmack wie Cola und Bier, Chips, Snickers, Zigaretten und Brot, Obst, Wurst und Käse. Schließlich müssen wir fünf Tage durchhalten. Zwar hat der Zug einen Speisewagen, aber man weiß ja nie.

Beim Einkaufen erleben wir noch, was eine falsch entnommene Flasche im Kühlschrank anrichten kann, der gesamte Inhalt, hier ausschließlich PET-Flaschen ergießt sich auf den Boden. Die ansonsten tiefenentspannte Verkäuferin kommt ziemlich in Wallung und beschimpft den Verursacher wegen seiner Dusseligkeit. Wir verstehen zwar kein Wort, aber es ist deutlich zu hören, dass es sich um diverse Schimpfwörter, wohl meistens Tiernamen wie Hornochse, Esel und so weiter handelt.

Wir sehen zu, dass wir unseren Einkauf bezahlen und machen uns auf den Weg zurück zum Zug, wo wir unsere Einkäufe unter den Sitzen verstauen. Dann wieder raus auf den Bahnsteig und dem bunten Treiben zugucken. Dazu ein bisschen Rauchen und mit Maxim plaudern. Ein Reisender will in unseren Waggon, wird aber von den Schaffnerinnen aufgehalten, weil anscheinend irgendwas mit seiner Fahrkarte oder Papieren nicht stimmt, es entwickelt sich ein hitziger Disput, den letztlich die Damen für sich entscheiden.

Niedergeschlagen zieht der Fahrgast von dannen. Später sehen wir noch eine Art Bahnpolizei zusteigen, auf die wir während der Reise immer wieder treffen wenn sie durch den Zug patrouilliert. Wir dürften also ziemlich sicher sein hier bei der Dichte von Personal. Je Waggon zwei Schaffnerinnen, dazu noch mindestens zwei Zugführer und die vier Bahnpolizisten.

Kurz vor der Abfahrt wird es auf dem Bahnsteig hektisch, die Schaffnerinnen treiben ihre Schäfchen zusammen und lassen sie einsteigen, dann geht ein Ruck durch die Waggons, sprich, der andere Teil des Zuges wurde angekuppelt und wir können nun sehen, dass unser Zug verdammt lang ist und wir eine der großen Dieselloks vorgespannt bekommen. Dann fährt der Zug langsam an, und in jeder Tür steht eine Schaffnerin mit einem kleinen Fähnchen und signalisiert dem Zugführer, dass alles bereit zur Abfahrt ist. Als der Zug genug Fahrt aufgenommen hat, werden die Türen verschlossen und gesichert. Wir stehen am Fenster und beobachten, wie Tynda und seine Bahnanlagen an uns vorüberziehen.

Es ist ein ziemlich großer Knotenpunkt, weil hier die Verbindung zur Transsib verläuft wie auch die östliche BAM nach Vanino, einem größeren Containerhafen im Ochotskischen Meer und die Strecke nach Norden, die wohl bis Jakutsk verlängert werden soll. Im Gegensatz zum Bauzug rollt unser Zug mit Vorrang über die Gleise. Immer wieder sehen wir an den Ausweichstellen und kleineren Haltepunkten schwere Güterzüge, die auf freie Fahrt sowohl nach Westen als auch nach Osten warten.

Der Zug fährt mit vielleicht 80 km/h durch die Taiga, wobei man an den Stößen im Zug schon merkt, dass der Oberbau ziemlich stark unter den klimatischen Bedingungen leidet. Meist verläuft die Piste parallel zur Bahntrasse, so dass wir den doch relativ guten Zustand sehen können. Es entspricht den Beschreibungen aus dem ADV-Rider-Forum, wo es heißt, die letzten 150 km der BAM nach Tynda sind in gutem Zustand.
Am späten Nachmittag erreichen wir Tschiltschi, wo der Zug einen kurzen Halt einlegt. Leider ist Natascha nicht im Dienst und Tschiltschi damit nicht wirklich sehenswert. Weiter geht’s und dann überqueren wir den Njukscha, Johns „Schicksalsfluss“. Von der Eisenbahnbrücke aus können wir sehen, dass der Wasserstand niedriger ist als vor 5 Tagen, aber egal, es ist wie es ist.

Als es langsam dunkel wird entscheiden wir uns dafür, den Speisewagen aufzusuchen. Der Weg führt uns durch insgesamt 5 Waggons, davon sind drei Großrumwaggons. Hier ist das pralle Leben, keine abgetrennten Abteile, sondern alles offen und voller Menschen die sich soweit auf ihren Betten eingerichtet haben. Wir können einen interessanten Duftcocktail riechen, eine Mischung aus menschlichen Ausdünstungen, vollen Windeln, diversen Lebensmitteln wie Fisch, Knoblauch etc. und Schweiß. Es herrscht ein ziemlicher Lärm, Musik, Kindergeschrei, laute Unterhaltung, dazu die Fahrtgeräusche… Wie gut, dass wir uns ein eigenes Coupé gegönnt haben.

Endlich im Speisewagen sind wir überrascht, ziemlich modern und gut eingerichtet, voll klimatisiert, ein mit kühlem Bier gefüllter Kühlschrank und die Speisekarte sieht vielversprechend aus und ist sogar mit englischer Übersetzung versehen. Die Kellnerin ist etwas trutschig, aber freundlich, Bier bestellen ist ja noch einfach, diesmal nehmen wir Tuborg mangels einheimischer Marken. Beim Essen wird es etwas schwierig, weil trotz der reichhaltigen Speisekarte nicht mehr alle Gerichte verfügbar sind. Wir entscheiden uns für einen Salat und das obligatorische Kottlett mit Reis bzw. Püree. Der Salat ist wirklich lecker und auch der Hauptgang mundet uns. Noch ein zweites Bier und dann geht es wieder zurück zu unserem Waggon und in unser gemütliches Coupé.

Ein bisschen wird noch erzählt und dann machen wir uns bettfertig. Die Pritschen sind gar nicht so unbequem und die Decken reichen aus. Nur eins macht Probleme, was uns tagsüber gar nicht so sehr aufgefallen ist trifft uns nun ziemlich unvorbereitet. Der Waggon bockt und springt auf den ausgefahrenen Gleisen hin und her, besonders wenn es über Weichen geht hat man das Gefühl, gleich von der Pritsche geschleudert zu werden. Wir liegen wohl ziemlich genau über dem Drehgestell, vermuten wir. In der Tat, am nächsten Halt gucken wir nach und finden unsere Vermutung bestätigt. Trotzdem fallen wir irgendwann in den Schlaf.

Wolle

Lebt in der Nähe von Hamburg und liebt das ganz große Abenteuer. War auf seiner modifizierten 650er Xchallenge in der Mongolei und Sibirien und tourte mit einer T700 durch Südamerika. Für die etwas gemächlicheren Touren innerhalb Zentraleuropas zieht er jedoch als Lastesel seine 800er Tiger vor.
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